Prof. Thomas Wagner,
Rede 10 Jahre Einraumhaus c/o Mannheim, 26.10.2019
Photo: Torsten Mitsch
Liebe Myriam, lieber Philipp, liebe Kunstfreunde aus Mannem und aus aller Welt.
Im Grunde möchte ich hier und jetzt nur laut ausrufen, damit es alle hören:
Hurra! Hurra! Zehn Jahre Einraumhaus c/o Mannheim! Ich gratuliere, Chapeau!
Ja, es sind tatsächlich schon zehn Jahre. Als Myriam und Philipp mich gefragt haben, ob ich hier und heute sprechen könnte, wusste ich zunächst nicht, was ein eher ferner Beobachter, wie ich es bin, zum Einraumhaus sagen könnte. Denn eines ist sicher: Wer genau wissen will, wie das Einraumhaus entstanden ist, was sich in all den Jahren in und um die bewegliche Kunst-Box so alles ereignet hat, der ist bei Myriam und Philipp am besten aufgehoben. Nur sie können all die Geschichten erzählen – einige davon werden Sie später sicher noch hören –, die diesem kleinen, aber außergewöhnlichen Haus zugewachsen sind. Es sind Geschichten, die es zusammen mit all den Künstlerinnen und Künstlern, Sammlern und Besuchern geschrieben hat und die es braucht, damit aus einer bescheidenen Kiste, in der Kunst gezeigt wird, ein Ort werden konnte, an dem Kunst sich quicklebendig und als Leidenschaft all jener zeigt, die sie machen und lieben, die über sie staunen und sich über sie ärgern, sie kritisieren und sich gedanklich an ihr reiben – damit jene Wärme entsteht, die es braucht, um die Kälte zu vertreiben, die unsere sozialen Verhältnisse so oft erstarren lässt.
Als ich noch daran knabberte, was ich heute sagen könnte, fiel mir eine kurze, recht alte, aber prägnante Geschichte ein, die der dänische Philosoph Sören Kierkegaard erzählt – beziehungsweise eines seiner Pseudonyme, ein gewisser Constantin Constantius, was ich hier nur der Korrektheit halber erwähne. Die Geschichte geht so: „Als die Eleaten die Bewegung leugneten, trat, wie jedermann weiß, Diogenes als Opponent auf; er trat wirklich auf; denn er sprach nicht ein Wort; sondern ging lediglich einige Male auf und ab und meinte damit jene hinreichend widerlegt zu haben.“
In Mannheim lässt sich die Geschichte so erzählen: Während man in der Stadt auf lähmende Weise glaubte, diese sei – damals trotz Kunsthalle und Kunstverein – kein besonders attraktiver Ort für bildende Künstler, traten Myriam und Philipp auf, gingen einige Male auf und ab – und stellten ihr Einraumhaus mitten in die Stadt.
Voilà, hier war es und bewies: es geht doch! – Aber anders als gedacht, debattiert, geplant, verschoben, debattiert, verworfen und so weiter und so weiter: Quot erat demonstrandum!
Veränderungen ereignen sich oft am Rande, während das Zentrum mit sich selbst beschäftigt ist. In der Geschichte waren es oft genug die Zerbrechlichsten, die Größe und Neuheit hervorbrachten. Was aber macht das Einraumhaus als Ort so besonders?
Der gestrenge Karl Kraus hat einmal geschrieben: „In der Kunst kommt es nicht darauf an, dass man Eier und Fett nimmt, sondern dass man Feuer und Pfanne hat.“Reden wir also darüber, welches Feuer hier brennt und was die Pfanne auszeichnet, die von ihm erhitzt wird.
Entfacht haben das Feuer allein Myriam und Philipp. Einfach deshalb, weil es ihnen zu kalt, zu öde, zu langweilig war in einer Stadt, die ihr Potenzial, was junge, unverstellte Kunst und die Bedingungen, unter denen sie entstehen kann, nicht genutzt hat. Sie wollten nicht immer nach Karlsruhe, nach Köln, Düsseldorf oder Berlin fahren müssen, um mitzubekommen, was sich in der Kunstszene gerade tut und entwickelt. Sie wollten, dass es eine Pfanne gibt, in der tatsächlich gekocht und gebraten wird, dass hier, in Mannheim, wo sie leben, Kunst nicht nur in ihrer etablierten Form gezeigt wird, sondern dass sie hier auch entsteht, sich eine eigene Szene entwickelt, diskutiert und einander geholfen wird.
Aus dem trockenen Holz des empfundenen Mangels entzündete ihr Enthusiasmus ein Feuer, das langsam größer wurde. Die Flammen züngelten, sie begannen zu wärmen – und weil sie immer höherschlugen, waren sie – wie ein Signalfeuer – nach und nach auch aus größerer Entfernung zu sehen. Es war kein privates Feuer, das sie entfachen wollten. Von Beginn an haben sie es nicht nur in der Stadt Mannheim, sondern auch für sie entfacht und am Brennen gehalten. Die kleine Kiste hieß ja nicht nur Einraumhaus – sie hatte einen Zusatz, der nicht übersehen werden darf: Einraumhaus c/o Mannheim.
Die Verbindung zu einem bestimmten Ort, in dem Kürzel c/o wird sie nicht nur hergestellt, sie bekommt eine eigene Qualität.Im Englischen steht c/o für „care of...“. Wörtlich übersetzt heißt das im postalischen Bereich schlicht: „wohnhaft bei“. Aber auch: „in der Obhut von“. Das deutsche Pendant klingt vergleichsweise bürokratisch: „per Adresse“ oder „zu Händen“. Im Fall des Einraumhauses c/o Mannheim geht es also um mehr als um die Abkürzung einer Anweisung für Postzustelldienste.
Hier bedeutet c/o: Das Einraumhaus und die es betreiben, sorgen und kümmern sich, sie nehmen sich der Kunst, der Stadt und der Kunst und den Künstlern in der Stadt an. Ihnen ist Kunst so wenig gleichgültig wie die Aktivität all derer, die sie machen, die sie sich abringen, die sie sich und den Verhältnissen abtrotzen, die selten gut und schon gar nicht komfortabel sind. All dem geben das Haus und seine Freunde eine Obhut – nicht nur dem, was fertig und abgesichert, gerade en vogue und am Markt und in den Museen erfolgreich ist. Denn nichts davon entsteht von selbst, es muss befeuert, beschützt und befördert werden. Und weil Myriam und Philipp wissen, dass man mit dem, was einem nahe ist, nicht sorglos umgehen darf, sind sie zu Gastgebern geworden und haben andere mit ihrer Gastfreundschaft angesteckt.
Am Alten Marktplatz steht heute also nicht nur irgendeine Kunstkiste, sondern ein Fremdkörper – unabhängig, beweglich, autonom. Der Bau ist temporär, die Präsentationsmöglichkeiten sind vielfältig. Symbolisch bewacht wird das Ganze zudem von einem eisernen Schutzpatron, den Philipp neben die schlichte Box gestellt hat: Von Sir Francis Drake – einem Freibeuter, Weltumsegler, aber auch einem Sklavenhändler und späteren Vizeadmiral, dem es im 16. Jahrhundert in England zu eng war und der zahlreiche Kaperfahrten – hauptsächlich gegen die konkurrierenden Spanier – unternahm.
Ein gewisser Freibeutergeist, wenn auch friedfertiger Natur, umweht denn auch das Einraumhaus: Hier wird Kunst nicht eingesperrt, sondern zugänglich gemacht. Hier kann sie nicht nur wachsen, sondern auch nachwachsen. Hier vermischen sich Gruppen und Szenen, die für gewöhnlich getrennt bleiben. Hier geht es nicht förmlich, sondern persönlich zu.
Hier wird ohne Hemmungen kommuniziert. Hier kommen und gehen Künstlerinnen und Künstler, Werke und Sammler. Hier können sie sich öffentlich zeigen, aber auch wieder von dannen ziehen. Hier darf Kunst geschehen, einfach dasein. Kurzum: Hier kann man eine Institution erleben, die den Boden, auf dem sie steht, selbst festgetreten hat und inzwischen zu einer Instanz geworden ist. Als ein Basis-Ort in der Stadt, aber auch im Hier und Jetzt, an dem Basis-Arbeit geleistet wird, weil sich hier zumeist eine Generation von Künstlerinnen und Künstler trifft, die nicht zu den Wenigen gehören, die in jener dünnen Speckschicht des Kunstmarkterfolgs zuhause sind, deren Kunst deshalb aber nicht weniger Kunst, nicht weniger aufregend und anregend ist.
Wenn der Freiraum der Kunst nach einem Wort von Joseph Beuys ein Kaninchenstall ist, dann ist er hier entstanden. Ein Freiraum, der niemandem etwas schuldet, der keine Ergebnisse vorweisen muss, der Kunst nicht für den Markt verwertbar macht.
Anders gesagt: Hier brennt ein Feuer und in der Pfanne wird gastfreundlich ein ebenso nahrhaftes wie schmackhaftes Gericht gekocht.
In dem Wort Gastfreundschaft steckt nicht zufällig das Wort Freundschaft. Die Gäste, die gekommen sind und sie genossen haben, tragen sie über die Stadt hinaus – als Erfahrung, aber auch als Signal. Nie aber losgelöst von den Menschen und vom Ort, nie abstrakt, immer persönlich. Ohne touristische Absichten und fremde Zwecke werben sie für Mannheim, erzählen ganz anders davon als es jede offizielle Maßnahme und jedes Stadtmarketing könnte.
Nichts von all dem, was seit 2010 buchstäblich unter ein Dach und zwischen vier Wände gebracht wurde, versteht sich von selbst. Niemandem ist hier etwas in den Schoß gefallen. Das Einraumhaus ist am Rand gewachsen wie Unkraut, das aus einem verirrten Samen in einer Ritze ans Licht will. Es ist in eine Lücke gesprungen, die, bevor Myriam und Phillip sie markiert und besetzt haben, keinem aufgefallen war.
Das Einraumhaus ist aber noch mehr und anderes als eine kleine, bewegliche, selbstbestimmte und anarchische Institution. Wenn ich es richtig sehe, dann ist es auch – wenn man das sagen kann – ein Freundschaftsgenerator. Was genau könnte das sein? Dass viele als Fremde hierherkommen und als Freunde wieder gehen? Sicher, auch das. Es geht aber um mehr. Unsere Zeit ist geprägt von einer diffusen Dauernervosität. Wir sind immer und überall erreichbar, ohne wirklich da zu sein. Alles scheint verfügbar, doch nichts ist verbindlich. Das Herz der Dinge ist aber kein Datensatz.
Im Unterschied dazu kann man im Einraumhaus erleben, was man eine Politik der Freundschaft nennen könnte, weil sie das Fremde nicht weniger anerkennt als das Vertraute. Nun wird mancher denken, was redet der, Freundschaft und Kunstbetrieb, das verträgt sich doch nicht, das geht nicht zusammen. Vielleicht doch. Hier werden, um das Bild von Feuer und Pfanne noch einmal zu bemühen, keine Fertiggerichte angeboten, hier wird auf offenem Feuer gemeinsam gekocht. Um der Kunst, aber auch, um der Gemeinschaft willen.
Ein Gemeinwesen entsteht ja nicht von selbst. Es besteht nicht von vorne herein aus Menschen, die alle gleich sind. Im Gegenteil. Sie unterscheiden sich voneinander, sind ungleich in dem, was sie tun, was sie wollen, was sie sich erhoffen und erträumen. Reden wir aber miteinander und erleben wir gemeinsam etwas, dann lernen wir uns kennen und gleichen uns einander an. Am besten gelingt das in der Freundschaft. Politisch ist die Freundschaft deshalb, weil in einem wahrhaften Dialog jeder der Freunde die Wahrheit begreifen kann, die in der Meinung des anderen liegt, weil er sieht und hört und erkennt, auf welche Weise die gemeinsame Welt dem andern erscheint.
Dafür stiftet das Einraumhaus Ort, Raum und Zeit. Dafür öffnet Kunst einen Bereich, in dem zur Sprache kommen kann, was gern und oft verschwiegen, übersehen, ignoriert, beiseitegeschoben wird. Wobei Kunst, wie ich sie verstehe, vieles anderes und mehr ist als eine Meinungsäußerung. Mag sie auch eigene Wege gehen, Umwege gehen und sich verlaufen – sie vermag im Raum der Ungewissheit eine Welt zu schaffen, in der sich die unsere in ihren Unterschieden spiegelt.
Rund um das Einraumhaus c/o Mannheim ist es die Kunst, die uns zu Partnern in einer gemeinsamen Welt macht, wenn nicht für immer, so doch zumindest für einen Tag oder Abend, an dem wir gemeinsam Kunst erfahren. Und was immer es bedeutet, was da gezeigt wird – ob es uns gefällt, uns staunen lässt oder verärgert, ob es uns dazu bringt, über Raum und Zeit und Welt und Stadt und Tier und uns selbst nachzudenken oder ob es uns hilft, zu erkennen, dass unser Blick nicht der einzig mögliche und gültige ist – in einer Zeit, in der das Gemeinsame in immer kleinere Communities und Parallelgesellschaften zerfällt, liegt darin etwas Ermutigendes.
Heute wird viel und leichthin von Gleichheit und sozialer Gerechtigkeit gesprochen. Es ist aber die Freundschaft und nicht die Gerechtigkeit, die als einigendes Band der Gesellschaft wirkt. Im Einraumhaus kann jeder, der möchte, erfahren, dass Freundschaft in diesem eminennt gesellschaftlichen Sinn ein ebenso großes Abenteuer darstellt wie Kunst zu machen und sich mit ihr zu befreunden.
Ich danke Ihnen für Ihre Geduld und rufe noch einmal, dass es alle hören:
Hurra! Hurra! Zehn Jahre Einraumhaus c/o Mannheim!
Ich gratuliere, Chapeau!
Myriam Holme in Galerie b2 “Together we care”, 2023
Verlag Marian Arndt UG
Selbstorganisation 02: Das Danach
Auszug aus : “Das Material aus dem die Freiheit ist”
Über die Selbstorganisation als Künstlerin
…
Selbstorganisation 02: Das Danach.
In den meisten Fällen ist das Verlassen der Akademie vergleichbar mit einem freien Fall. Abgefedert durch das ein oder andere Stipendium, die ein oder andere Aufmerksamkeit mag einem das individuell anders vorkommen, aber ist ein freier Fall. Ein freier Fall fühlt sich ja bekanntlich auch ziemlich lang, ziemlich frei und ziemlich schön an, aber nur den allerwenigsten wachsen unterwegs Flügel. Es scheint, es gibt das Flügelwachsen und über sich hinaus undsoweiter, aber wer genau hinschaut, stellt sich eventuell die Frage wie frei der Fall eigentlich ist oder war. Denn es gibt Fallschirme, Rettungshubschrauber, oder Huckepack Fliegen, das verklärt manche Erfolgsgeschichte.
Dennoch: Alles steht offen. Berlin, London, Paris… Es ist nicht leicht die Naivität der freien großen Welt, in der man sich nur den richtigen Ort für sein Leben als Künstler*In aussuchen muss, in den Griff zu kriegen. Und es macht auch keinen Spass sich der Banalität der Fragen zu stellen:
Was ist realistisch und wichtig und passt zu einem?
Wo gibt es bezahlbaren Raum?
Gibt es wichtige Institutionen in der Stadt?
Oder Kunsträume?
Welche Kolleg*Innen warten auf mich?
Wie wichtig ist der Austausch?
Was bringt mir eine Stadt an Inspiration? Und wodurch?
Letztendlich auch Fragen nach der Kinderbetreuung?
Irgendwie gerinnen alle Wünsche zu Notwendigkeiten und es ist nicht eben einfach das künstlerisch Forschende so in dem Mittelpunkt zu stellen, wie man es gerade in beheizten Ateliers, freundlichen Werkstätten, grossem Interesse unter Gleichgesinnten und prämierten Jahresausstellungen gelernt hat.
Es ist ein Abwegen: Der Wunsch nach viel Arbeitsfläche führt einen dort hin, die Sehnsucht nach Austausch da hin, die Mietsituation wieder woanders, Chancen auf dem Markt gibt es wohl dahinten, Cool wäre es dort zu sein… am meisten Sinn macht es aber wahrscheinlich hier. Man rechnet sich das zu recht und schön und das ist gut, das man nicht aus den Augen verliert warum man wie und wo ist und wo man vielleicht hinwill. In jedem Fall ist das die zweite Phase der Selbstorganisation, denn ziemlich schnell gewinnt dieser Satz :
„Es wartet keiner auf Dich“ an recht furchteinflössender Bedeutung und realistisch ist er auch noch.
In meinem Fall wurde es Anfang der Nuller Jahre Mannheim:
30 min Frankfurt, 90 min Köln, 120 min Basel, 45 min Stuttgart, 4 std Paris, günstige Industrieflächen für Seife und Kunst, bezahlbare Wohnmieten, ein (immer noch) kläglicher Kunstverein, fast keine Galerien, Künstler*Innen in der Regel 60+, kein Nachwuchs, keine Kunstakademie, kein Off-Ort, kein Nichts - ein Museum, ja gut, aber: ein Museum? Ok, ein Bahnhof… das ist schon mal was.
Ausgestattet mit einer Galerie und Kunstmarkt - mein freier Fall hatte durchaus einen Fallschirm bereit gestellt - wurde die Stadt zur Basis und der Bahnhof ein guter Ort: Kontakte aufrecht halten, Kolleg*Innen treffen, sich dem Kunstbetrieb hingeben, da hin fahren, dort hin fahren, alles gut, manchmal sogar sehr gut und so gut, das die Naivität wieder Besitz von einem ergreift. Am Fallschirm hängend glaubt man zu fliegen und die Perspektive werden eindimensionaler.
Dann das Leben: ein Kind. Das mit dem ständig umherziehen ist nicht nur schwieriger, sondern die Lust nimmt ab und dann schaut man sich um und sieht…. Mannheim.
Auf dem Boden ankommen: Mannheim.
Gut das neben Mannheim Ludwigshafen liegt und da Ernst Bloch gewirkt hat. Und der schrieb, das Utopien der Sehnsucht entspringen, dem Leiden an einer Leerstelle. Leerstellen gab es hier genug, das Leiden an Leerstellen dementsprechend nicht zu ignorieren und also entscheidet man sich die Welt hierher zu holen; das es einen Bahnhof gibt, das wusste ich ja.
Gemeinsam mit Philipp Morlock gründeten wir 2009 das Einraumhaus c/o. Ein Ausstellungshaus mit dem Ziel im Namen: c/o to care of. Künstler*innen nach Mannheim holen, ein Netzwerk aus- und aufbauen, Mannheim zu stärken, die Region „entwickeln“, jedenfalls was die bildende Kunst anging.
Kunst als soziale Gestaltung. Grösstmögliche Freiheit, künstlerische Forschung und pragmatische Ableitungen: frei von Miete, nicht im eigenen Atelier, nicht in der Wohnung:
Wir bauten das erstes Einraumhaus: 4 x 4 x 3 Meter, eine Türe, ein Glaspyramidendach, mitten in der Stadt. Sechs Wochen. Jede Woche eine Künstler*In. Jede Woche eine Sammler*In aus der Region. Eine wöchentliche Zeitung: Vernetzung von Künstler*innen, die in Mannheim geboren, geblieben oder weggezogen waren. Interviews. Künstler*Innengespräche. Konzerte. Viel Party. Ein rauschendes Fest.
Nach sechs Wochen klaffte eine Lücke in der Stadt und das nahmen nicht nur wir so wahr. Der Wunsch von Seiten der Stadt und Stadtgesellschaft war schnell formuliert: weitermachen.
Wieder eine Lücke aus der Sehnsucht und Leiden zur Utopie führte.
Stuttgart, Solothurn, Tirana, Esslingen, Freiburg… das kleine Einraumhaus wurde zum Satelliten und der Beschluss stand fest: wir bauen ein zweites Einraumhaus. Etwas größer (5 x 8 x 5 m), schwarz aussen, Bitumen, ein großes Oberlicht, eine hohe Türe, keine Fenster und platzieren es gegenüber des Platzes auf dem das erste bereits sechs Wochen Fuß gefasst hat und die Lücke klaffte. Das war 2011.
Nun gehen wir bald in das 15te Jahr des Einraumhauses c/o. Neben dem eigentlichen Ausstellungshaus entstanden etliche andere Projekte die den Stadtraum kulturell prägten, teilweise an der Schnittstelle von Soziokultur und Kunst agieren, aber auch zum Beispiel ein Verlag. Das letzte und vielleicht grösste Nachfolgeprojekt ist BARAC-Mannheim. Ein ehemaliges Wehrmachtsgebäude auf einer verlassenen amerikanischen Konversionsfläche. 4000 qm Wohn- und Arbeitsfläche, die wir mit Hilfe einer Stiftung in Erbpacht für 99 Jahre sichern konnten. Ein Haus in dem der Einraumhaus Verein die Kunst etabliert, ein offenes Ausstellungsgebäude, ein Haus für junge Künstler*Innen, nach dem Ende der Akademie, ein Gemeinschaftsort von und für Kulturschaffenden. Ein Ort, den wir selbst renovierten, aufbauten, entwickelten. Nach dem Prinzip der Nachhaltigkeit von Material: alle verwendeten Materialien sind dem Abriss anderer Gebäude entzogen. Ernsthaftigkeit. Genauigkeit. Konzentration. Notwendigkeit.
Das alles ist die persönliche Praxis. Aber rückblickend, was ist die Theorie? Was resultiert aus der Selbstorganisation?
Sowohl die Selbstorganisation Teil eins als auch die Selbstorganisation Teil zwei haben mein Selbstverständnis als Künstlerin geprägt, geschliffen, verändert, gestärkt und sind unwiderruflich mit meinem Schaffen als Künstler*In verbunden.
Ich habe gelernt vom ICH zum WIR zu blicken und auch zu arbeiten.
Mein Netzwerk als Künstlerin ist von den kulturpolitisch agierenden Jahren stark geprägt, sowohl innerstädtisch als auch überregional und national durch das Kuratieren und begleiten von vielen Ausstellungen über die Jahre.
Meine Professionalisierung als junge Künstlerin wurde durch die Selbstorganisation stark begünstigt, nicht nur rein formal was Bürokratie angeht, sondern auch das ganze Handwerk, die Praxis um den Künstlerberuf herum wurde hier von Anfang an geübt. Vom Kunsttransport, zum Projektantrag. Vom Verpacken, zum Ausstellung aufbauen. Vom Planen zum Organisieren. Vom Umgang mit Sammlern zum Umgang mit Galerist*Innen. Vom Umgang mit einer fremden Arbeit bis zum Umgang mit Künstler*Innen bei ihrer Arbeit.
Sicherlich sind es heute andere Bedingungen, andere Lösungsansätze, andere Bedarfe und andere Ideen die benötigt werden, was aber bleibt, ist die Grundvoraussetzung und gleichsam der Gewinn jeglicher Form der Selbstorganisation.
Der einzigartige Gewinn liegt in der Umsetzung und des Sichtbarmachens des Wunsches, die Kunst ernst zu nehmen.
Die Kunst und die individuellen Bedürfnisse als Künstlerin so wahrzunehmen, dass durch den Dialog und die Notwendigkeit Dinge voranzutreiben das selbst auferlegte Vakuum des Ateliers nicht die einzige künstlerische Praxis bleibt.
Selbstorganisierte Projekte machen den Unterschied zwischen dem darauf Warten, dass diese Momente des Austauschs von externen Kräften initiiert werden, und dem Handeln in dem solche Momente selbst produzieren werden, sowie Alternativen aufgezeigt werden, Dinge anders zu machen und Kultur als sich ständig veränderndes Feld der kulturellen Produktion zu verstehen.
Myriam Holme und Philipp Morlock im Gespräch zum 5 jährigen Katalog des Einraumhaus c/o, Sommer 2014
Philipp Morlock: 2003 sind wir hier ins Atelier eingezogen.
Myriam Holme: Und auch erst nach Mannheim gezogen.
Philipp Morlock: Mannheim ist die Zwischenlösung auf dem Weg nach Köln gewesen und hatte für uns den Vorteil, dass es einfach im Zentrum Deutschlands liegt.
Mannheim selbst war spannend kennenzulernen. Es gibt für Kunst eigentlich ideale Voraussetzungen, viel leere Industrieflächen, dadurch billige Mietpreise, was Atelierräume angeht, was Wohnungsmieten angeht, man kann hier mit relativ wenig Geld auskommen.
Myriam Holme: Und die ersten Jahre war das hier wirklich ein Basispunkt zum Leben und Arbeiten. Alle Wochenenden und alle freie Zeit sind wir eigentlich rumgefahren und haben uns Ausstellungen angeguckt oder irgendwelche andere Geschichten, die sich im näheren Umfeld abspielten, wobei das dann wirklich bis Düsseldorf hoch ging.
Philipp Morlock: Die Stadt war wie ein Werkzeugkasten für uns, wir haben hier gearbeitet.
Myriam Holme: Und hatten über das Studium eben alle künstlerischen Kontakte in Karlsruhe.
Philipp Morlock: Feierabend, Kasten zu und in die Ecke stellen. – Wir sind auch in dieser ersten Zeit nicht aufgetaucht, was die Stadt angeht. Nach zwei oder nach drei Jahren haben wir erst entschieden, in die Öffentlichkeit zu gehen.
Myriam Holme: Dann ging es eigentlich mehr darum, dass einem manches an bildender Kunst fehlte in so einer großen Stadt oder so einer großen Region wie Mannheim und wir uns eigentlich immer überlegt haben, wie man diese ganzen Kontakte nach Mannheim holen könnte, und wir nicht immer nach Frankfurt, Köln, Basel, Stuttgart, Karlsruhe fahren müssen, um spannende Ausstellungen zu sehen. Wir waren ziemlich früh damit beschäftigt, einen Ausstellungsort oder einen Kommunikationsort zu schaffen, indem man Leute von außen nach Mannheim bringt. Wir wussten nur ziemlich lange Zeit nicht wie.
Philipp Morlock: Es war klar, wir wollen keinen Raum anmieten oder leerstehende Räume benutzen.
Myriam Holme: Oder das Atelier dafür aufmachen.
Philipp Morlock: Wenn man jetzt fragt, wann hat das Einraumhaus c/o angefangen? Da gibt es mindestens zwei Anfänge. Einmal das Datum, erste Ausstellung, und der andere ist ein schleichender Prozess. Dann gab es für das Haus selbst zwei Ausstellungen im Vorfeld, wo der körperliche Anfang mit verbunden ist. Das ist einmal die Ausstellung in Pforzheim, »Schnelle Frauen, schöne Autos«, im Kunstverein. Dort habe ich eine Besenkammer gebaut, die im Ausstellungsraum stand und diese hatte vier auf vier Meter. Es war ein Raum ohne Dach. Dann war die Ausstellung vorbei und die ganzen Arbeiten aus Pforzheim kamen zurück ins Lager nach Mannheim. Das war die erste Ausstellung und 2009, ein Jahr später, gab es die Preisausstellung vom Vetter Preis, die im Mannheimer Kunstverein stattfand. Die Ausstellung hieß »Agora« und bestand aus zwei Reliefwänden, die sich gegenüber standen. In der Mitte ist ein Platz entstanden, ein belebter Platz wie er eigentlich in jede Stadt gehört.
Myriam Holme: Wir haben dann in die Ausstellung im Mannheimer Kunstverein KünstlerInnen aus Köln eingeladen und das war eigentlich eine Initialzündung.
Philipp Morlock: Das war der Anfang. In der Ausstellung haben letztendlich noch zwei andere Ausstellungen stattgefunden.
Myriam Holme: Das war einfach ein schöner Abend. Es kamen Leute von Düsseldorf und Köln und es fand genau das statt, was wir uns immer gewünscht hatten, dass man hier wohnt und lebt, keiner aus der Kunstszene kennt Mannheim und man andere Kunstschaffende hier her holt und zeigt, hier passieren auch gute Sachen.
Philipp Morlock: Im darauffolgenden Sommer: Ständig stößt man auf diese Lagerproblematik die sperrige Kunst mit sich bringt. Diese ist Schuld an der Weiterentwicklung bzw. kann man hier nicht von Schuld reden. Kunst machen, das ist ein großer Prozess und eine Entwicklung. Auf jeden Fall tauchten diese Wände aus der Pforzheimer Ausstellung wieder auf. Ich kann mich noch daran erinnern, wie ich diese das zweite Mal im Lager in der Hand hatte und gesagt habe, komm wir schauen, ob das Kulturamt uns das Dach finanziert für diese Wände, dann haben wir ein Ausstellungshaus und stellen es in den öffentlichen Raum. Du hast gesagt, wenn das Haus steht, dann kuratiere ich. So war das. Meine erste Intention ist es gewesen, eine Skulptur zu bauen, die in den Stadtraum gestellt wird und dann geht es darum, diese zu beleben, die Skulptur zu befüllen, ein Programm zu erstellen. Das Kulturamt hat zugesagt, hat die Kosten des Dachs übernommen und dann haben wir dieses Haus gebaut. – Da war es wichtig, dass das Haus etwas körperliches bekommt und die Außenhaut sollte keine Farbe sein sollte. Zusätzlich zu diesem Haus, welches als Schutzraum dient, sind die Figuren entstanden. Die Figur, die vor dem Eingang steht und an die Situation erinnern soll, wie Figuren vor Tempeleingängen als Schutzpatronen dabeistehen. Die Figuren selbst sind aus meiner Arbeit entwickelt. Das sind meist verkörperte Persönlichkeiten, die nicht immer positiv im Rampenlicht stehen. Bei dem kleinen Haus ist es der Pirat Sir. Francis Drake. Das fand ich eigentlich sehr passend, weil er gemeutert hat und dies der englischen Königin gut gefallen hat und sie sagte: mach das Gleiche wie vorher, aber unter dem Schutz der Krone. Nach drei Monaten Arbeit war das Haus fertig.
Myriam Holme: Auf den Namen sind wir ziemlich schnell gekommen, beschrieben was ist: Einraumhaus und das c/o kam dann noch dazu. Man kennt es vom postalischen Weg, dass die Post ankommt, wenn man bei jemand anderem wohnt. Aber ursprünglich eben von »to care of« und das fanden wir aus mehrerlei Gründen sehr passend, weil dieses „sich-um-jemanden-kümmern“ so facettenreich war. Einerseits kümmert sich das Haus um die Kunst, die wir zeigen, anderseits arbeitet da vielleicht ein Künstler drin, der im Prinzip auch seine Post dahin bekommen könnte, aber auch, um den wir uns wiederum kümmern. Die Stadt kümmert sich um dieses Haus und die Bevölkerung kümmert sich darum was innen und außen passiert. Dieses c/o machte aus jeglicher Sicht Sinn. Auf lange Sicht gesehen, passt dieses »Einraumhaus c/o Mannheim«, weil wir uns in diesem ganzen, durch Kunst im öffentlichen Raum, um Mannheim kümmern oder auch um die Bevölkerung Mannheims. Dann ging es darum, was man in diesem Haus konkret zeigt. Wir wollten es ziemlich kompakt und dicht haben, nicht so lange Laufzeiten. Am Ende kam ein Programm dabei heraus, bei dem wir donnerstags immer eine SammlerIn einluden. Wir haben SammlerInnen hier in der Metropolregion gesucht, die für einen Abend ihre Lieblingsarbeit installieren, ihre Lieblingsstücke präsentieren. Parallel dazu haben wir versucht am folgenden Tag eine junge KünstlerIn zu zeigen, überregional, national bekanntere, weniger bekannteren KünstlerInnen aus unserem engeren Umfeld, der/die in die Sammlung des jeweiligen SammlerIn passen könnte. Das war einerseits gar nicht so schwierig Leute zu finden, anderseits schon, weil es mitten im öffentlichen Raum auf einem Platz stattfand, auf dem eine ganz andere atmosphärische Stimmung herrschte, als in einer gesicherten Institution. Dementsprechend unterschiedlich sind die SammlerInnen damit umgegangen. Von SammlerInnen die einfach Arbeiten nach Mannheim bringen wollte, die man so vielleicht in Mannheim noch nicht gesehen hatte, wie Jürgen Sontheimer, der im Einraumhaus eine Arbeit von Wolfgang Leib installierte. Bis zur Sammlung Maag, die einen jungen unbekannten, aufstrebenden Künstler zeigen wollte, aber auch wie die Sammler Heinzmann, die dann tatsächlich ein Franz West Stuhl aus ihrer Sammlung bei uns installierten. Es war ein heißer Sommer und immer viel los ums Einraumhaus, natürlich auch eine Partystimmung. Unser Konzept ging auf, in Bezug auf die Idee der Kommunikation. Die Leuten die wir aus Berlin einluden, kamen alle, saßen da, erzählten, die KünstlerInnen aus Mannheim waren da und die SammlerInnen. Wir haben so versucht verschiedene Schichten hereinzubekommen, unabhängig davon, dass die normale Bevölkerung auch teilgenommen hat. – Auf einmal ging diese ganze Idee von Ausstellungsraum, von Kommunikationsort, von Vermischen für uns auf, Eben auch Mannheim zu öffnen -von außen nach Mannheim von Mannheim wieder raus.
Philipp Morlock: Es war schön zu sehen, dass die SammlerInnen genauso angefixt waren wie die Künstler, Arbeiten zu zeigen. Die KünstlerInnen haben sich ins Zeug gelegt gute Abeiten zu produzieren, aber auch die SammlerInnen waren aufgeregt und haben sich damit beschäftigt, was zeige ich jetzt, was ist mir wichtig zu zeigen? Ist das meine teuerste Arbeit die ich zeige oder meine inhaltlich wertvollste?
Myriam Holme: Oder die Skurrilste?
Philipp Morlock: Das war schön zu sehen. Ich muss auch sagen: die Kunst machen ist das eine, aber dann den Part, den eigentlich die SammlerInnen übernehmen, damit zu leben, ist auch eine Herausforderung, die gar nicht so einfach ist. Mit dem ganzen Hirnschmalz der KünstlerInnen zu leben.
Myriam Holme: Es war durch dieses kleine Haus und durch diesen einen Abend extrem persönlich wie die SammlerInnen auftraten, sie sind auch in ein sehr persönlichen Kontakt mit ihren Arbeiten getreten, weil sie diese selbst installieren sollten. Das ganze herausgerissen aus dem normalen Kontext, wie eine Arbeit in einer Sammlung steht oder wie jemand mit einer Arbeit lebt. Dies macht auch ein Mehrwert der Arbeit aus, weil sich sozusagen die Arbeit wieder etwas einschreibt, an Erinnerungen. Da hatten wir das eine Beispiel der Sammlung Heinzmann, die ihren Franz West Stuhl bei uns für einen Abend installierten. Dieser Stuhl von Franz West beinhaltete auch eine kleine Arbeit die darüber hängt und zu lesen gibt, dass dieses Kunstwerk nur vollendet sei, wenn man sich nackt auf diesen Stuhl setze. Wir waren gespannt, wieviele Mutige, Freiwillige und Neugierige der Aufforderung von Franz West nachkommen und sozusagen das Kunstwerk komplett machen. Wir hatten einen kleinen Vorhang genäht, der vor die Tür kam, um dem ganzen etwas intimes zu geben. Es war zufälligerweise eine Vollmondnacht, eine sehr heiße und das war ein wahnsinniger Abend, weil die Menschen bis nachts um vier Schlange standen, um sich einmal nackt auf diesen Stuhl setzen zu können. Die Initialzündung hatte eine Frau gemacht, die das ganz toll fand und sich sofort nackt darauf setzte. Je länger der Abend ging, umso mehr Menschen wollten unbedingt nackt auf diesem Stuhl sitzen. – So ist es, glaube ich, auch für den Sammler, bis heute ein ziemlich einzigartiges Erlebnis, da der Stuhl tatsächlich in einer reichen Facette vollendet wurde.
Philipp Morlock: Es hat eigentlich gezeigt, wie viel Leute sich mit der Kunst auseinandersetzten, die wir an diesen Ort gebracht haben, ohne dies bewusst zu tun. Es wurde den Leuten wirklich niederschwellig Kunst nahegebracht. Passanten kamen vorbei und fragten nicht, was ist hier, die haben erstmal geschaut, sind selbstverständlich ins Haus gegangen, haben sich eine Meinung gebildet und später kam manchmal die Frage, was ist denn hier eigentlich oder die Frage kam auch nicht. Sie haben sich die künstlerischen Arbeiten angeschaut, ohne zu wissen, dass sie mit Kunst konfrontiert sind. Sie haben sich hineingestürzt und sind damit nach hause gegangen.
Myriam Holme: Die Hemmschwelle, der Kultureinrichtung, des Museumeingangs oder Galerieeinganges ist komplett gefallen. Da gab es kaum Berührungsängste mehr. Auch unabhängig von den Eröffnungsabenden, gab es tagsüber Öffnungszeiten und es mischte sich das Publikum so wie sich dieser Platz mischte. Diese Wochen auf dem Alten Messplatz waren eigentliche eine ganz runde Geschichte.
Philipp Morlock: Dann ging der Sommer 2010 in Mannheim eigentlich erfolgreicher zu Ende wie wir angedacht hatten. Am Ende der Ausstellungsphase in Mannheim kam ein Galerist aus Stuttgart der sagte: Das müssen wir jetzt nach Stuttgart holen. Das Haus wurde hier abgebaut und zwei Monate später in Stuttgart wiedereröffnet. Dort war es Teil einer Gruppenausstellung in der Galerie. Hier haben wir nur das Sammlerkonzept weiterfortgeführt, Wir haben die Sammlung Rausch gezeigt, das Hausmeisterpaar der Kunstakademie Städel in Frankfurt, die eine bekannte, berühmte Sammlung von Frühwerken besitzen, weil sie immer studentisch Arbeiten geschenkt bekommen haben, gepaart mit Professorenarbeiten. Über Kontakte der Galerie hat Jan Hoet als Sammler im Haus ausgestellt und hat ein für ihn wichtige belgischen Maler gezeigt, der seiner Meinung nach unterrepräsentiert ist. Dann ist Stuttgart fertig gewesen und in der Zwischenzeit...
Myriam Holme: ... entstand eigentlich in Mannheim ein Loch, muss man wirklich sagen. Es war viel Energie da, zwischen den KünstlerInnen in Mannheim und dem was hier einfach passierte, die SammlerInnen-KünstlerInnen Geschichte und zwischen allen die da waren. Irgendwie entstand dann doch ein Sog weiter zu machen, aber es war klar, wenn dann doch auch anders.
Philipp Morlock: Dann ist die Situation entstanden, das kleine Haus ist transportabel, wird eingeladen, findet andere Orte und wenn wir jetzt einen Satelliten haben, brauchen wir eine Basis.
Myriam Holme: Eine Homebase...
Philipp Morlock: ... und ein Ort um auch zu zeigen, dass es ein Mannheimer Produkt ist, das Einraumhaus. Da haben wir auch die tolle Unterstützung vom Kulturamt erhalten, muss man sagen. Ohne die Hilfe, finanzielle und auch mentale Hilfe vom Kulturamt Mannheim wären wir gar nicht so weit gekommen. Da wären wir schon mit dem ersten Haus nicht weit gekommen und hätten auch gar nicht die Freiheit gehabt über das zweite Haus überhaupt nachzudenken. Als es dann klar war, dass eine Basisstation entstehen soll, wurde angedacht, dass diese ein bisschen größer sein muss und der Raum trotzdem eine Herausforderung ist, etwas für und in ihm zu machen. Es ist auch erst einmal kompliziert gewesen, denn wenn etwas länger steht, muss ein Bauantrag gestellt werden, also diese ganzen Diskussionen im Vorfeld, wie bekommt man so etwas genehmigt, das hat ein Vorlauf gebraucht. Aber nichts desto trotz seit zwei Jahren ist die Basisstation fertig.
Myriam Holme: Steht gegenüber vom Platz.
Philipp Morlock: Einraumhaus c/o Mannheim – dieses c/o definiert das Konzept an für sich und je nach dem wie das Haus eingeladen ist in anderen Städten anderen Institutionen, ist es Einraumhaus c/o Stuttgart oder Einraumhaus c/o Tirana, dort waren wir dann in Albanien als hier zeitgleich die Basisstation eingeweiht wurde.
Myriam Holme: Parallel hatten wir das Richtfest in Mannheim
Philipp Morlock: Und wir wollten daran arbeiten, was kann man noch für Ausstellungen machen.
Myriam Holme: Also konzeptionell anders heranzugehen. Da war unsere Eintrittsausstellung: one an more chairs. Wir haben KünstlerInnen gefragt, ob sie uns ein Stuhl aus ihrem Atelier schicken, also wirklich ein Stuhl auf dem sie arbeiten oder an dem sie arbeiten. Egal ob sie damit ein Bild malen, eine Skulptur erstellen oder darauf schlafen müssen und ein Feldbett im Atelier haben. Die Stühle haben wir dann einerseits wie Skulpturen oder wie eine Installation präsentiert; in dieser Überlegung, was macht den Stuhl von einer KünstlerIn zu einem Kunstwerk? Die KünstlerInnen haben die Stühle alle unter der Sitzfläche signiert, als ob es ein Kunstwerk wäre, was man aber nicht wahrgenommen hat und haben so eigentlich wieder eine Authentizitätsfrage gestellt. Wir haben die Stühle auch im Rahmen von Lesungen wieder benutzt. Es war somit auch nicht das Kunstwerk das man nicht anfassen durfte.
Philipp Morlock: Wir haben uns mit dem Ausstellungstitel auf die erste Konzeptkunst bezogen.
Myriam Holme: Auf Joseph Kosuth.
Philipp Morlock: One and two chairs von Joseph Kosuth, der die erste Arbeit gemacht hat, die als Konzeptkunst anerkannt ist. Da kamen ganz unterschiedliche Reaktionen. Auf der Einladungskarte waren zwei Stühle abgebildet und dieser Titel. Wir hatten eine Gruppe älterer Herren die in die Ausstellung kamen, die eigentlich nach zehn Minuten ganz entsetzt raus gegangen sind, das sei eine Unverschämtheit so eine Ausstellung präsentiert zu bekommen. Dann sind wir auf sie zu gegangen und haben das Gespräch gesucht. Dabei hat es sich herausgestellt, dass sie historische Stühle erwartet haben.
Myriam Holme: Oder Designerstühle und sie selbst ein Stuhlmuseum haben. Diese waren ganz entsetzt, was für abgewrackte Stühle wir hier präsentieren.
Philipp Morlock: Zu der Ausstellung haben wir auch ein eigenes Heft herausgebracht und darin sieht man die Bilder wie die Stühle noch in ihrer ursprünglichen Funktion in den Ateliers standen. Wenn man den Künstler kennt, kann man die Stühle auch zuordnen. Um eine Nachhaltigkeit für das Projekt zu erfahren versuchen wir die Arbeiten wieder zu zeigen. Wir nennen es die Einraumhaus Sammlung. Gemeint ist damit, dass wir die Arbeiten, die für das Haus entstanden sind bzw. die eben dort gezeigt wurden, an anderen Orten wieder auszustellen. Das Haus verschwindet bzw. wird auf den Grundriss reduziert, wir gehen in andere Räumlichkeiten, das können Foyers von Firmen sein oder andere Ausstellungshäuser, und legen dort den Grundriss des Hauses wieder aus. Ohne das Haus zeigen wir die Arbeiten wieder, wie sie im Einraumhaus gezeigt wurden. So waren wir letztens im Hack Museum Ludwigshafen und haben dort drei Grundrisse mit Arbeiten nacheinander gezeigt. Wir versuchen auch auf den Koversionsflächen eine Ausstellungshalle einzurichten, in der die Grundrisse dauerhaft gezeigt werden.
Das eine ist das Projekt nachhaltig zu zeigen und das andere ist, dass wir in einer Generation sind, die ein bischen am durchfallen ist, auch in der Kunstwelt, nicht nur gesellschaftlich und wirtschaftlich, sondern auch innerhalb der Kunst. Wenn man sieht wie die Ankaufsetats der Museen heute sind – es ist eigentlich kein Geld mehr da. Es werden eher drei, vier hunderttausend Euro gesammelt um eine Lücke zu schließen, die vor 15 Jahren entstanden ist, doch die Lücke heute, was zeitgenössische Kunst angeht, die klafft total, da wird eigentlich gar nichts mehr angekauft. Deshalb haben wir gesagt, wir versuchen einen Grundstein zu legen und wollen Firmen finden, welche die Patenschaft für einen Grundriss übernehmen, damit die Künstler ausbezahlt werden können und versuchen somit eine zeitgenössische Kunstsammlung auf die Beine zu stellen. Das sind die Ideen für die Zukunft, wie es weiter gehen soll.
EinRaumWas?
Behgehbare Skulptur, Ausstellungskonzept, Museum und ja, Haus.
Ein Text von Hendrik Bündge, Sommer 2010
EinRaumWas?
Begehbare Skulptur, Ausstellungskonzept, Museum und ja, Haus!
Als die Tage bereits kürzer, das Wetter ungemütlicher und es merklich feuchter wurde, verabschiedete sich mit einem entfernt plötzlich auftauchenden, schillernden Regenbogen ein seltsames Gebäude von seinem Standort, an dem es über vier Wochen lang als Gast gestrandet war: dem Alten, 2007 neu gestalteten Messplatz in Mannheim. Eine nach Nord-Osten verlaufende außerordentlich sentimentale und chronologische Anordnung vergangener Zweckbauten – das Jugendstilgebäude Alte Feuerwache mit seinem elegant markanten Schlauchturm, gefolgt von den brutal markanten, monumentalen Neckarhochhäusern – brach das von den Künstlern Myriam Holme und Philipp Morlock so genannte Einraumhaus c/o Mannheim auf, obwohl es doch wie ein Relikt vor unserer Zeit wirkte. Archaisch aus gerosteten, miteinander sichtbar vernieteten Metallplatten konstruiert, war das offene Zeltdach der Hausform mit einer schwebenden Glaspyramide bekrönt. Im Inneren warteten weiß getünchte Wände und Holzbohlen auf, und standen somit in ähnlichem Kontrast zum Äußeren, wie die Feuerwache und das Neckarhochhaus dahinter. Mit seinem quadratischen Grundriss (der Innenraum maß 4x4m) schlug das Einraumhaus an seinem Standort Neckarstadt eine formale Brücke, zu der von Kurfürst Friederich IV. von der Pfalz choreografierten Quadratur der Innenstadt. Doch zu welchem Zweck wurde es aufgebaut und was beherbergte das geheimnisvolle Haus, das nur durch eine schmale, weiße Tür zu betreten war?
Neugierige Passanten, Wissende und Kinder, die sowohl neugierig als auch wissend sind, konnten darin in der Zeit vom 8. Juli bis 27. August 2010 zeitgenössische Kunst betrachten. Kunstwerke, im steten Wechsel direkt aus den Werkstätten der Künstler oder aus den Wohnungen von Sammlern, wurden in den white cube des Einraumhauses – dies selbst ein (begehbares) Kunstwerk – getragen und dort aufgehängt, aufgebaut, aufgestellt und in einigen Fällen auch benutzt. Das Einraumhaus war, so sein Erbauer Philipp Morlock, als „Schutzraum“ gedacht, der die Kunst vor der Öffentlichkeit absichern, aber gleichsam ein Betrachten der Kunst erst ermöglichen sollte. So war unweit des Refugiums eine weitere Skulptur auf einem „schatzkistenartigen“ Holzsockel platziert, deren Titel diese Assoziation verstärkte: „Wächterskulptur“. Diese mit blau-schwarzer Ölfarbe überzogene Figur erinnerte mit seinen vier, nun zum heiklen Stillstand auf dem Sockel gezwungenen Rädern an eine Kutsche, und demonstrierte doch von Weitem betrachtet eine Schutzfunktion, nicht zuletzt aufgrund des keilförmig und abgerundeten Überzugs und einer physischen Nähe zu dem Haus.
Innerhalb der strukturalistischen Raumauffassung, die mit dem von Gilles Deleuze geprägten Begriff des „reinen spatiums“ eng verknüpft ist, zielt die deutsche Bezeichnung „Raum“ auf das Volumen, während der romanische Ausdruck eine Ausdehnung beinhaltet, von der die Vokabel „Spazieren“ abgeleitet ist. In diesem Sinne wanderte das Einraumhaus nach seinem Abbau aus Mannheim in den Tiefhof der Stuttgarter Galerie ABTART. Dort wurde das bereits in der Quadratestadt erprobte Ausstellungskonzept vom 16. September bis 18. Dezember 2010 überregional fortgesetzt. Aus dem Einraumhaus c/o Mannheim wurde daraufhin das Einraumhaus c/o Stuttgart. Die Namensgebung wird diesen Standortwechsel zukünftig verdeutlichen. Dieser Spaziergang war es, der schließlich für eine Eingebung bei den Machern sorgte – eine Laune der Natur oder ein Geistesblitz ist in diesem Falle unerheblich –, nicht nur innerhalb eines deutschen Bundeslandes zu agieren, sondern das Konzept zu erweitern und somit das Haus über die innerdeutschen Grenzen hinaus und physisch für geraume Zeit auf Reisen zu schicken. So änderte das Einraumhaus nach einer längeren Planungsphase vom 5. November bis 13. November 2011 erneut seinen Namen und wurde in der albanischen Hauptstadt Tirana aufgebaut (Einraumhaus c/o Tirana). Doch um die Wirklichkeit der Verwurzelung des Hauses in Mannheim deutlich zu machen, erhielt es mit Einraumhaus c/o Europe, wie es im gesamten Zeitraum ohne vorgesehenen Standort genannt wird, einen Bruder. Deutlich größer gewachsen und nur einen gekonnten Steinwurf von der Geburtstätte des anderen entfernt, steht seit dem 26. November 2011 das neue, über 9m breite und 6,65m hohe Stammheim Einraumhaus c/o Mannheim. „Einem Satelliten gleich“ soll künftig der kleinere Bruder um den großen Bruder, den Heimatplaneten kreisen, und einen künstlerischen Austausch mit dem Ausland ermöglichen. Für eine bestimmte Zeitspanne werden deutsche Künstler im Ausland ausstellen, während Künstler aus jenem Standortland in Mannheim gezeigt werden. Diesem erheblich in seinen Dimensionen gewachsenen, rechteckigen Raumformat wurden nun zwei Wächterskulpturen zur Seite gestellt, die aber – diesem neuen, aktiven Austauschkonzept geschuldet – als „Wandermönche“ bezeichnet werden. Über eine Rampe nähert man sich dem neuen Domizil, und bemerkt erst wenige Zentimeter vorher die besondere Haptik der Außenfassade, die bei einem noch genaueren Blick gespachtelte Spuren aus Teer entdecken lassen.
Ferner wird eine zusätzliche Erweiterung des Konzepts erprobt. Für die nächsten drei Jahre werden aus den laufenden Ausstellungen heraus Kunstwerke für eine Einraumhaussammlung erworben. Dies könnte einem weiteren Gastauftritt des Ausstellungskonzepts anzurechnen sein. Für den Abend des 11. Januar 2011 sorgte der Förderkreis für die Kunsthalle Mannheim e.V. dafür, dass im Jugendstil-Kernbau der Kunsthalle Künstler und Arbeiten aus der ersten Phase vorgestellt wurden. Ohne den, dank des institutionellen Rahmens obsolet gewordenen Schutzraum Haus, waren auf dem mit schwarzen Schieferplatten ausgekleideten Fußboden neben den dauerhaft dort aufgestellten Skulpturen aus der Sammlung der Kunsthalle Mannheim mit weißem Klebeband quadratische Grundrisse (der Innenfläche des ersten Einraumhauses folgend) gezeichnet, innerhalb derer die Arbeiten ausgestellt waren. Im Übrigen wird es auf dem neuen Grundstück institutionelle Verkaufsräume wie ein Museumscafé (Bar) und einen Museumsshop geben, die den Prozess zu einer Kunst vermittelnden Bildungsanstalt vorantreiben werden.
Diese verschiedenen, bereits zur Sprache gekommenen, relationalen Momente fügen sich wie Splitter aus zu Bruch gegangenen Brillengläsern aneinander, die von Myriam Holme und Philipp Morlock neu zusammengesetzt wurden. Das ermöglicht nun einen neuen, gleichermaßen wie durch ein Plus- und Minusglas parallel gesehenen Blick, der territoriale Grenzen verwischt, und dennoch einen regionalen Fokus auf die einzelnen, vorgesehenen Länder legt. Die Idee der bipolaren Verbundenheit war es, die am letzten Tag des ersten Einraumhaus c/o Mannheim aus dem am Himmel erschienen, optisch-atmosphärischen Phänomen des Regenbogens herauswuchs, und wie der Stern von Bethlehem als Wegweiser diente: Um das bis dahin noch unbekannte Neue nur denen zu verkünden, die eine lange und teils beschwerliche Reise in Kauf nehmend bereit waren. Dank gebührt Myriam Holme und Philipp Morlock, den beiden Weisen aus der Quadratestadt.
Hendrik Bündge